Serotonin ist ein Neurohormon und ein Gewebshormon im Gehirn und auch im restlichen Körper. Wegen der Blut-Hirn-Schranke wird seine Synthese in beiden Bereichen getrennt geregelt. Treten Mangelerscheinungen im Gehirn auf dann können Depressionen, Angststörungen Schlaflosig- keit oder eine gestörte Ess-/Suchtkontrolle auftreten. Treten die Mangelerscheinungen peripher (z.b. im Darm) auf, kann sich ein Reizdarm, eine gestörte Leber und Bauchspeicheldrüsenfunktion, Migräne oder chronische Schmerzen (z.b. Fibromyalgie), Herzinsuffizienz oder Osteoporose entwickeln. Wegen seiner Vielschichtigkeit und seines häufigen Vorkommens hat das Serotonin-Defizit-Syndrom eine hohe praktische Relevanz. Allgemein kann man sagen, dass Serotonin verantwortlich ist für die „Regulation der Energiebalance“. Dazu gehören der Bereich „Energiezufuhr“ mit Bewegung, Denken, Emotionen und Sättigungsgefühl und der Bereich „Nahrungsverwertung“ mit Regulation der Verdauung, Insulinauschüttung und antioxidativer Gewebeschutz.
Biochemie
Serotonin wird aus der Aminosäure L-Tryptophan (LT) gebildet. Dabei braucht es jedoch einen aktiven Carrier zum Transport durch die Barriere. Dieser Carrier wird aber auch von anderen Aminosäuren benutzt, wodurch eine Verdrängung des LT entstehen kann. Zuerst wird es in 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) umgewandelt. Dazu braucht es zwei Enzyme (TPH1 + 2). Besteht ein Gendefekt für diese Enzyme kann es zu angeborenen psychischen Pro- blemen kommen. LT ist eine Aminosäure die üblicherweise ausreichend aus der Nahrung über den Darm aufgenommen wird. Ein Großteil wird für andere Funktionen verwendet und nur 3-10% werden in 5-HTP verstoffwechselt.
Die Weichenstellung in welche Richtung der Umbau geht, ist klinisch interessant, da ein extrem hohes Angebot an LT, erhöhte Cortisolspiegel (bei Stress), Alkohol oder entzündliche Prozesse zu weniger 5-HTP und zu geringeren Serotoninspiegeln führt. Das Serotonin wird vom Neuron in den synaptischen Spalt ausgeschüttet und bewirkt post-synaptisch eine Reizweiterleitung. Durch diesen Impuls werden Stimmung und Denken beeinflusst. Dazu gibt es zur Steuerung Rückkoppelungs- und Transportersysteme, die ein Recycling des Seroto- nins ins Neuron bewirken. Dadurch wird die Wirkstärke und -dauer beeinflusst. Und nach der Rückresorption kann es neu verwendet werden. Hier greifen die neuen Antidepressiva vom SSRI-Typ ein. Ein Teil wird durch das Enzym MAO abgebaut. Auch hier gibt es pharmakologische Substanzen die dieses MAO hemmen. Serotonin ist jedoch auch an der Bildung von neuen Nervenzellen beteiligt. Eine wichtige Wechselwirkung gibt es mit dem Hormonsystem. Östrogene modulieren an mehren Stellen die Bildung, den Abbau und die Aktivität von Serotonin. Auch DHEA und Progesteron haben in kontrollierten Studien gezeigt, dass ihre Substitution eine signifikante Unterstützung in der Behandlung von psychischen Störungen darstellt. Ähnliches zeigte sich auch bei Gedächtnisstörungen. Besonders profitieren Menschen ab der Lebensmitte.
Ursachen des Serotoninmangels
- Mangel an Tryptophan in der Ernährung: Normalerweise mangelt es daran nicht. LT ist in Milchprodukten, Eiern, Walnüssen, Sojabohnen, Bananen, Ananas und Kakao enthalten. Fleisch ist nicht so gut als LT Quelle geeignet. Kohlehydrate sind eher förderlich es reguliert aus den Aminosäuren die verstärkte LT Aufnahme. Besteht aber ein Defizit, sind durch Ernährung nur geringfügige Verbesserungen möglich. Meist ist eine gezielte Substitution nötig.
- Mangel an Kofaktoren und Hormonen: B-Vitamine (B 6, B3) und Hormone wie Östrogen und Progesteron und DHEA beeinflussen die Synthese und den Abbau von Serotonin und stimulieren teilweise die Aktivität der sertonergen Neurone.
- Lebenstil: Chronischer Stress, belastende Lebensumstände, chronische emotionale Belastungen, Schicksalsschläge, chronische Erkrankungen können die Serotoninsynthese, meist vorrübergehend mindern.
- Medikamente: Zahlreiche Medikamente wie z.b. B-Blocker, Antihypertensiva, Drogen und Alkohol mindern den Serotoninspiegel
- Genetische Ursachen: Enzymdefekte, Rezeptoren defekt, Transporter/Reuptake defekt
- Alter: Altersbedingte Rückschritte bei der Synthese und Metabolismus des Serotonins, verminderte Produktion von DHEA, Progesteron
In der Praxis lassen sich meist Kombinationen aus verschiedenen Störungsursachen beobachten. Ist jemand genetisch prädisponiert reicht schon eine geringe psychische Belastung oder bei Frauen ein Östrogenabfall, um einen Defizit und damit eine psychische Erkrankung auszulösen.
Symptome eines zentralen Serotonin-Defizits
Funktionelle Serotonindefizite im Gehirn können sich in vielen „mentalen“ oder „Hypothalamisch- vegetativen“ Symptomen zeigen
- Emotionalität: Depressionen, Antriebslosigkeit, Angststörungen, Panikattacken, Zwangsstörungen, Desinteresse, vermindertes Selbstwertgefühl, Suizidgefahr
- Schlaf: Ein- und Durchschlafstörungen, erhöhtes Schlafbedürfnis, chronische Müdigkeit, reduzierte Träume
- Vegetativum: verminderte Esskontrolle, Essstörun- gen, Übergewicht, Magersucht, Bulimie, reduzierte Stressverarbeitung, Aggression, Autoaggression, verminderte Libido, verminderte Schmerztoleranz, chronische Schmerzen, gestörte Temperaturregulation, vegetative Entgleisungen (Verdauungsstörungen, Herzrasen, Schwindel…..)
- Psychiatrische- und Neurologische Erkrankungen: Schizophrenie, Autismus, Epilepsie, Migräne
- Kognition (Gedächtnis): gestörtes Gedächtnis, Demenz, Lernstörungen, gestörte Plastizität des Gehirns, verminderte Neurogenese
Symptome eine peripheren Serotonin-Defizits
- Tonisierung des Blutgefäßsystems: Serotonin wirkt gefäß- und bronchienverengend, tonisiert die Herzmuskelzellen, ein Mangel führt zu Herzschwäche und Herzfehlbildungen beim Kind
- Störung der Gerinnung und Wundheilung: Blutungen im Magen-Darm-Trakt, unter SSRI Ein- nahme gibt es ein 3-fach erhöhtes Blutungsrisiko, nimmt man dann noch Schmerzmittel (NSAR wie Voltaren) dazu steigt das Risiko aufs 9-fache an.
- Gestörte Sekretion: Darm, Pankreas und Brust (Reizdarm, Insulinresistenz, gestörte Milchsekretion)
- Gestörte Organregeneration: besonders von Leber und Pankreas
- Immunsystem: chronische stille Entzündungen im Körper, verminderte Immunabwehr
- Vegetativum des Darms: Durchfall, Verstopfung, Reizdarm, Blähungen, Bauchkrämpfe….
- Melatoninsystem: zirkadianer Rhythmus gestört
- Gestörte Entwicklungsprozesse: pränatale Fehlbildungen, Aborte, Osteoporose, Knochenbrüche
- Gestörte Thermoregulation: Hitzewallungen lassen sich sowohl durch SSRI ́s wie durch 5-HTP regulieren.
Diagnose
Vorrangig wird die Diagnose über einen Symptom-Score gestellt. Je mehr typische Beschwerden mit ja angekreuzt werden desto wahrscheinlicher ist ein Serotoninmangel. Ergänzt wird dies durch den peripheren Serontoninspiegel. Dies ist vor allem für die Verlaufskontrolle wichtig. Wobei zu beachten ist, dass wir nur den peripheren Anteil messen können, nicht jedoch den im Gehirn. (Streng getrennte Bereich durch die Blut-Hirn-Schranke). Es wird vermutet, dass diese beiden Bereiche zu einem erheblichen Anteil mitein- ander korrelieren. Als Referenzbereich haben sich bei gesunden Personen Serumspiegel um 200 ng/ ml gezeigt. Sie sind kaum abhängig von Tageszeit, Alter und Geschlecht. Der Grenzwert im Labor ist zwischen 120 -480 ng/ml definiert. Aus meiner eigenen Erfahrung zeigen Menschen die SSRI ́s (Antidepressiva) einnehmen fast alle einen deutlich gesenkten peripheren Serotoninspiegel. Auch Medikamente zur Blutdrucksenkung können den Sero- toninspiegel senken. Werte über 800 ng/ml müssen in Richtung Karzinoid abgeklärt werden. Wird mit dem Präkursor 5-HTP (Griffonia) behandelt sollte nach 3 Monaten eine klinische Kontrolle und eine Laborkontrolle durchgeführt werden.
Therapie
- Lebensstil:Tryptophanhaltige Kost, Lebensstilveränderungen,
- Psychotherapeutische- Psychosomatische Begleitung
- Analyse und gezielte Versorgung mit wichtigen Vitaminen und Spurenelementen (Vit. B6, Vit.D)
- Kontrolle und Ausgleich des Hormonsystems durch bioidente Hormone
- Gabe der Vorstufe 5 HTP (Griffonia) Dosierung zw. 50 – 400 mg tgl. (Dosierungen über 600 mg sollten vermieden werden. Erste klinische Verbesserung tritt nach 2-3 Wochen ein.
Nebenwirkungen
Die Präkursoren L-Tryptophan und 5-HTP sind körpereigene Substanzen und daher innerhalb physiologischer Konzentrationen praktisch ohne Nebenwirkungen. Jeder Mensch hat jedoch, seine biochemischen Besonderheiten und auch eine falsche Anwendung kann zu Nebenwirkungen führen. Deshalb gehört die Therapie auch in die Hände von Ärzten. Abzuraten ist deshalb vor unkontrollierter Einnahme eines „Nahrungsergänzungsmittels“.
Serotoninsyndrom: Tritt bei sehr hohen Serotoninspiegel ein. Die Patienten leiden unter Durchfall, Zittern, Tachykardie und Verwirrtheit. Es ist selten wurde aber unter der Einnahme verschiedener syn- thetischer Antidepressiva beobachtet. Die beiden Substanzen müssen nur gut aufeinander abgestimmt werden. In der Arbeitsgruppe von Dr. Römmler (D) wurde in den vielen Jahren der Anwendung von 5-HTP kein einziges Serotoninsyndrom beobachtet. Auch in der Literatur ist bisher nichts berichtet worden. Dazu kommt dass, dies auch aus biochemi- scher Sicht kaum möglich ist. Es wurde beobachtet, dass unter hohen 5-HTP Dosierungen, der Blutspiegel von Serotonin paradoxerweise wieder abfällt. Scheinbar vermag der Körper mit diesen physiologischen Substanzen selbstregulierend umzugehen.
Gastrointestinale NW: Verstopfung, Durchfall, Blähungen, Übelkeit, Mundtrockenheit oder Kopfschmerzen. Dies kann entstehen wenn der Präkursor rasch resorbiert wird und im Darm sofort in Serotonin umgewandelt wird. Dies kann durch eine einschleichende Dosierung verhindert werden. Durch eine kurzfristige Unterbrechung und Dosisreduktion lassen sich die Symptome aber rasch beseitigen.
Wachheit – Müdigkeit: Einzelne Patienten beschreiben bei abendlicher Einnahme Schlafprobleme. Dann sollte die Dosis eher tagsüber verabreicht werden. Andere klagen bei morgentlicher Gabe unter Müdigkeit. Diese sollten es abends nehmen.
Kombination von 5-HTP und SSRI oder anderer Antidepressiva: Dies sollte nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Es gibt dazu bisher wenige Studien. Einige positive Daten zur Kombination mit Citalopram und auch persönliche Erfahrungen sind jedoch schon vorhanden.
Problematik bei der Behandlung mit Antidepressiva (SSRI, SNRI)
Schaut man die großen Metaanalysen der modernen Antidepressiva an so sieht man, dass es bei leichten Depressionen kaum mehr Wirkung gibt als unter Placebo. Bei schweren Depressionen oder Angstzuständen bewirken diese Substanzen doch eine gewisse Stabilisierung oder Besserung der Symptome. In diesen Situation sind müssen die Nebenwir- kungen in Kauf genommen werden. SSRI ́s konzentrieren das vorhandene Serotonin im synaptischen Spalt im Gehirn. Der Vorteil ist, dass dadurch eine klinische Besserung stattfinden kann. Der Nachteil besteht jedoch in der Verminderung von Serotonin im Gehirn, im Blut und im Gewebe. Dies entsteht durch eine Autoregulation die zum Ab- senken der Serotoninsynthese in den Nervenzellen führt. SSRI ́s verhindern aber auch die Aufnahme von Serotonin in nicht neuronalen Geweben. Wie gesagt, lässt sich der Abfall von Serotonin peripher im Blut sehr gut mit einer Laboruntersuchung belegen. Weiters kommt es unter SSRI ́s zu einer verminderten Gerinnungsfähigkeit der Blutplättchen. Die Nebenwirkungen die dadurch entstehen sind Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Verstopfung, Schwindel, Leberstörungen, Libido- und Potenzstörungen und Gewichtszunahme. Wichtig ist ein deutlich erhöhtes Risiko (3-fach) für innere Blutungen. In Kombination mit Schmerzmittel vom NSAR-Typ (Voltaren, Aspirin etc. ) steigt dieses Risiko auf das 9-fache. Ich habe in meiner Praxis als Polizeiärztin auch schon Todesfälle gesehen. Weitere NW sind vermehrt Knochenbrüche bei Osteoporose und vermehrt Suizide.